Die Tierhaltungsbranche steht vor komplexen Herausforderungen, bei denen unterschiedliche Interessen miteinander konkurrieren. “Nachhaltigkeitsziele wie das Tierwohl, der Umweltschutz und die menschliche Gesundheit können schnell im Widerspruch zueinanderstehen”, sagt Jeanette Klink-Lehmann von der Abteilung Marktforschung der Agrar- und Ernährungswirtschaft am Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik der Universität Bonn. Gleichzeitig könnten stringentere Standards in der Tierhaltung die Wettbewerbsfähigkeit beeinflussen, da damit einhergehende steigende Kosten nicht immer durch höhere Verbraucherpreise kompensiert werden können. Dies kann die Überlebensfähigkeit landwirtschaftlicher Familienbetriebe gefährden und hat somit auch Auswirkungen auf ländliche Gemeinden. “Zur Entwicklung angemessener politischer Rahmenbedingungen ist die Thematisierung und Klärung dieser Konflikte in der Nachhaltigkeitsdebatte von zentraler Bedeutung”, sagt Prof. Monika Hartmann, die die Abteilung Marktforschung der Agrar- und Ernährungswirtschaft an der Universität Bonn leitet.
Ein Team der Abteilung Marktforschung der Agrar- und Ernährungswirtschaft der Universität Bonn hat die Präferenzen der Verbraucherinnen und Verbraucher für verschiedene Nachhaltigkeitsziele untersucht. In ihrer Studie hat es sich auf drei Hauptkonflikte konzentriert: Tierschutz im Vergleich zu Umweltschutz, menschliche Gesundheit gegenüber Tiergesundheit und menschliche Gesundheit gegen Tierschutz. Das Forschungsteam analysierte die Präferenzen der Verbraucherinnen und Verbraucher für diese konkurrierenden Nachhaltigkeitsziele. Zudem untersuchten sie, wie positive Informationen in Hinblick auf die Sicherstellung bestimmter Ziele sowie Hinweise auf mögliche Zielkonflikte die Präferenzen beeinflussen. Im Rahmen der Analysen wurden auch psychografische (unter anderem das Bewusstsein für Umwelt, Gesundheit und Tierwohl) und soziodemografische Faktoren (wie etwa Geschlecht und Alter der Teilnehmenden) berücksichtigt, um mögliche Unterschiede in den Präferenzen der Verbraucherinnen und Verbraucher erklären zu können.
In der experimentellen Studie erhielt eine Gruppe der Befragten Informationen über die Vorteile von Schweinehaltungspraktiken in Verbindung mit zwei erfundenen Labeln: dem “Offenstall”-Label, das den Tierschutz fördert, und dem “Antibiotikafrei”-Label, das zum Schutz der menschlichen Gesundheit beiträgt. Die zweite Gruppe erhielt neben diesen positiven Informationen auch Informationen zu möglichen negativen Auswirkungen der Produktionspraktiken. Eine dritte Gruppe, die als Kontrollgruppe diente, bekam lediglich Informationen zur Universität Bonn. Anschließend wurde eine tägliche Einkaufssituation im Supermarkt simuliert, in der die Befragten gebeten wurden, sich dreimal zwischen zwei Salamiprodukten zu entscheiden, wobei die unterschiedlichen Salamiprodukte verschiedene Nachhaltigkeitsziele repräsentierten. Ebenfalls wurde die Zahlungsbereitschaft der Verbraucherinnen und Verbraucher für die jeweils gewählte Salami ermittelt.
Das Forschungsteam fand heraus, dass die meisten Leute sich für eine Salami mit einem Nachhaltigkeitslabel entscheiden und auch bereit sind, mehr für diese auszugeben. Dabei ist die Zahlungsbereitschaft für eine Salami mit dem Label „Antibiotikafrei“ höher als die für eine Salami mit dem Label “Offenstall”. “Hieraus kann abgeleitet werden, dass die persönliche Gesundheit für die Menschen wichtiger ist als der Tierschutz”, sagt Jeanette Klink-Lehmann. Im Rahmen der Studie zeigte sich außerdem, dass Tierschutzerwägungen wichtiger sind als Umweltschutz. Die Ergebnisse weisen auch darauf hin, dass die Bereitschaft der Menschen, sich für die nachhaltigere Alternative zu entscheiden, stark vom Preis abhängt.
Die Forscherinnen und Forscher der Universität Bonn haben gezeigt, dass die Wirkungen der Information davon abhängen, welche Nachhaltigkeitsaspekte betrachtet werden und wie die Informationen präsentiert werden. „Für uns überraschend war, dass bei Bereitstellung ausschließlich positiver Informationen die Zahlungsbereitschaft für die Salami aus Freilandhaltung anstieg, nicht aber für die antibiotikafreie Salami, jeweils verglichen mit der nicht gekennzeichneten Salami“, sagt Jeanette Klink-Lehmann. Die Erstautorin interpretiert dies so, dass Verbraucherinnen und Verbraucher die “antibiotikafreie” Tierproduktion als vorteilhaft für ihre eigene Gesundheit wahrnehmen. Diese Vorteile durch das Label selbst aber bereits ausreichend erfasst werden, so dass zusätzliche Informationen die Verbraucherpräferenzen nicht beeinflussen. Im Gegensatz dazu seien sich die Verbraucherinnen und Verbraucher der positiven Auswirkungen eines offenen Stalls auf das Wohlergehen der Tiere möglicherweise weniger bewusst. In diesem Fall dienten positive Informationen dazu, das Wissen und damit die Zahlungsbereitschaft für die Salami aus Offenstallhaltung zu erhöhen.
Um vollständige Transparenz zu erreichen, müssten die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nur über die Vorteile, sondern auch über die möglichen Nachteile einer Produktionsmethode informiert werden. „Unsere Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass eine solche Strategie ihren Preis hat”, sagt Milan Tatic, Doktorand in der Marktforschung der Agrar- und Ernährungswirtschaft der Universität Bonn. So habe die zweiseitige Information eine neutralisierende Wirkung. “Das heißt, wir können keinen Einfluss der positiven Information gepaart mit Informationen über mögliche negative Auswirkungen der Produktionsmethode auf die Zahlungsbereitschaft der Verbraucherinnen und Verbraucher im Vergleich zur Kontrollgruppe feststellen.“
„Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Wert auf Tierschutz und Gesundheit legen, bereit waren, mehr für die `Offenstall´-Salami zu zahlen”, sagt Prof. Hartmann, die zusammen mit ihrer Co-Autorin Jeanette Klink-Lehmann Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Sustainable Futures“ an der Universität Bonn ist. Zusätzlich zeigten gesundheitsbewusste Personen eine höhere Zahlungsbereitschaft für die “Antibiotikafreie” Salami im Vergleich zur “ohne Label”-Variante. “Überraschenderweise galt letzteres auch für diejenigen, die besonders viel Wert auf den Tierschutz legen“, so Prof. Hartmann.